vonDresdennachIstanbul
3390 km
 
   

Der Reisebericht aus dem Abschnitt Tschechien

# 2

Samstag, 16.08.2008

Ostrau – Bad Schandau – Děčín Ústí nad Labem – Velke Zernoseky bei Litomerice

73,6 km

4:19 h

av.V = 17,0 km/h

↗ 246 hm

↘318 hm

av. P = 60 W

14°C - 16°C, starker Regen

4 € und 815 CZK (Kronen)

Der Nieselregen wurde jetzt stärker, aber im Gegensatz zu gestern konnte er uns nichts anhaben, da wir uns bereits mental damit abgefunden und unsere Erwartungen dementsprechend herabgesetzt hatten.

Auf einem so typischen Markt, wie er wohl hinter vielen tschechischen Grenzen zu finden ist, suchen wir für Konrad Tevas. Das sind praktische Kunststoff-Sandalen, damit er nicht wieder den ganzen Tag in seinen feuchten Schuhen verbringen muss. Wir fanden aber leider nichts Angemessenes, dafür wurden die Händler nervig aufdringlich und wollten mir allerhand Plunder andrehen. Dabei haben wir doch alles was wir brauchen. Und was wir nicht brauchen, schleppen wir auch ganz sicher nicht durch halb Europa mit. Dazu gehören eben auch Lederhandtaschen genau so wie ausgefallene Vogelhäuser.

Jetzt setzten wir erneut mit der Fähre über die Elbe, so dass wir nun auf der westlichen Flussseite bei Schöna und damit wieder zurück in Deutschland waren. Denn auf dieser Seite geht der wirklich sehr schöne Elbradweg durch die Sächsische bzw. Böhmische Schweiz entlang. So radeln wir ruhig dahin, kommen durch Děčín und viele kleine Dörfer. Es ist ein bedrückendes Gefühl, da hier sehr viele verwahrloste Häuser und Grundstücke in Verfall geraten. Es wirkt alles verlassen und zusätzlich vermüllt. Sicher liegt die niedergedrückte Stimmung zum Teil auch an dem traurigen Herbstwetter, aber auch Industrie und Fabriken geben ihren Teil kräftig dazu. Die Wände der Häuser sind durch die Abgase farblos bis dunkelgrau und im Rinnsteig fließt eine gelbe Flüssigkeit. Regenwasser sieht so eigentlich nicht aus. Tristes umgibt uns.

Hinter Děčín hängen wir uns für ein paar Kilometer in den Windschatten von drei älteren Radreisenden, bei weitem sind wir nicht die einzigen auf dieser Strecke. Doch schon bald nervt ihr gemächliches Tempo. Langsam fahren kann manchmal anstrengender sein, als etwas schneller im eigenen Rhythmus zufahren und so attackiert Konrad am erstbesten Hügel und wir düsen nun Richtung Ústí nad Labem. Da es schon gegen Mittag ist halten wir unter einem Pavillon und machen Mittagessen, natürlich gibt es Nudeln. Während wir da sitzen, kommen die Drei zurückgelassenen an uns vorbei, die nun auch nicht mehr geschlossen in einer Gruppe fahren. Wir hatten gut 15 Minuten auf sie herausgeholt. Tour-de-France-Held und Ausreißerkönig Jens Voigt wäre in diesem Moment sicher stolz auf uns.

Offensichtlich scheinen wir die ortsansässige Dorfjugend von ihrem Drogendealplätzchen fernzuhalten. Mit schön prollig wirkenden Bässen kommen ihre Karren angerollt, doch aussteigen will keiner. Nach einer Weile trollen sie sich wieder. Sie wissen wohl, dass wir hier noch eine Weile bleiben werden, denn es hat inzwischen angefangen wie aus Eimern zu schütten. Von Minute zu Minute wird der Regen nun stärker, auf dem Radweg bildet sich gar ein Bach. Selbst unter unserem Pavillon wird es ungemütlich, weil immer wieder Windböen Regenschwaden hereinpusten.  Das ganze hat nur einen einzigen Vorteil: Wir müssen nicht abwaschen. Die Teller und Töpfe stellen wir in den Regen, wo sie schnell voll laufen. Das Festgebrannte sollte die gelbe Chemikalie doch lösen können. Wir verweilen noch etwas. Doch dann wir müssen weiter, hier können wir nicht bleiben, denn bei so einem Regenguss baue ich kein Zelt auf, es muss wieder eine Unterkunft her, die es in diesem kleinen Ort aber nicht gibt.

Mit eingezogenen Köpfen rollen wir nach Ústí. Es ist eigentlich genau das Wetter, bei  dem man zuhause bleibt, die Heizung aufdreht, einen warmen Pullover überzieht, ein paar Kerzen anzündet, sich einen Kakao kocht und ein Buch ließt oder fernschaut. Vielleicht genießt man das monotone Klopfen der Regentropfen an der Fensterscheibe und isst dabei das erste Stück Stollen des Jahres, der eigentlich ja für die Adventszeit gedacht war. Wir nicht. Wir wollen nach Istanbul. Und das allein muss zur Motivation hier und jetzt ausreichen. Und es reicht. In Ústí kaufen wir Proviant ein, doch so richtig können wir den Aufenthalt im trockenen und warmen Supermarkt nicht genießen. Wir haben Angst um unsere beladenen Fahrräder, Digital-Kamera, Geld und Pässe haben wir zwar bei uns, aber es gäbe noch vieles andere was ein Langfinger an sich nehmen könnte und womit er unsere Tour zerstören würde.

Wir irren noch eine Weile durch Ústí und finden dann wieder zurückauf den Elberadweg, der aber kaum noch asphaltiert ist und immer schlechter wird. Am östlichen Elbufer thront nun die Festung Schreckenstein auf einem einhundert Meter  hohen Ziegelsteinfelsen über uns. Sie verschwindet fast vollständig in den dunklen und tiefsitzenden Wolkenschwaden. Die nächsten Kilometer fahren wir nur noch durch Schlamm und der Dreck spritz bis ins Gesicht. Wir sahen aus wie Schweine die sich gerade gesuhlt haben. Wie sollen wir so nur eine Unterkunft finden? Wer lässt uns denn so in sein Haus? Beim ersten Versuch wurden wir dann tatsächlich mit einem Kopfschütteln weggeschickt, aber dafür kannten wir nun das tschechische Wort für Unterkunft, welches an dem Haus stand: “Ubytování“. Also zumindest können wir es lesen und wieder erkennen. Eine regenreiche Weile später fanden wir erneut eine Ubytování bei einer älteren Frau. Diese schien auch nicht allzu sehr begeistert zu sein und ließ uns erst in ihr Biedermeierhaus, nachdem wir uns vor der Tür mit einer Gießkanne den Schmutz des Tages abgeduscht hatten. Egal egal egal. Alles ist mir egal. Hauptsache wir konnten ins trockene. So gewaschen war die Frau dann zufrieden mit uns und wir bekamen sogar noch niedliche Stoffpantoffeln von ihr. Anschließend erklärte sie uns, damit wir auch alles finden, das ganze Haus ausführlich auf Tschechisch. Wir hatten unser Zimmer und nebenan war ein Wohnzimmer, welches aber auch von zwei anderen Gästen mit genutzt wurde. Bad, Toilette und die kleine Kochkammer teilten wir uns ebenfalls mit ihnen.

Auf den Holzdielen in unserem Zimmer breiteten wir unsere nassen Sachen aus, schauten ein wenig Olympia im schwarz-weiß-Griesel-Fernseher mit tschechischem Kommentar und  warteten auf den Wetterbericht, der uns dann ein schönes Zeichen sandte: Eine große lachende Sonne über Prag.

Zum Abend kochten wir uns wieder Nudeln und aßen sie in dem streng-katholisch eingerichteten Wohnzimmer. Von der Wand schaute uns dabei das vielleicht 50 Jahre alte Hochzeitsfoto der Frau des Hauses zu.

 

# 3

Sonntag, 17.08.2008

Velke Zernoseky Litomerice Theresienstadt Melnik   Kralupy - Prag

121,1 km

6:52 h

av. V = 17,5 km/h

↗ 501 hm

↘478 hm

av. P = 60 W

18°C - 30°C, Sommer-Sonnenschein

567 CZK (Kronen)

 

Es war kaum zu glauben, aber als wir das Häuschen der guten alten Frau nach einem liebevoll angerichteten Frühstück verlassen hatten, schien die Sonne und es war keine Wolke am blauen Sommerhimmel zu erkennen. Nix mit „Regen ist Wetter heute“, was uns die Frau am Morgen noch drohend prophezeit hatte. Der Wetterbericht von Česká Televize hingegen hatte Recht und das gefiel uns sehr. Dagegen stehen unsere Fahrräder im Glanz des lichten Tages unter einer dicken Dreckkruste ganz traurig im Schuppen. Während wir uns am Abend geduscht hatten um sauber zu Bett zu gehen, hat sich auf den Ketten der Fahrräder auch noch eine feine Rostschicht gebildet. Naja eine kurze Katzenwäsche muss für sie heute Morgen reichen, wir wollen den herrlichen Tag nutzen und schnell weiter fahren.

Die erste Stadt die wir nach ein paar Minuten erreichten war Litomerice. Ein Mann der uns am gestrigen Abend einmal den Weg in diese Richtung wies, sprach es „Light-matic“ (engl.) aus.  Litomerice passierten wir gerade,  als die Kirchglocken zum Sonntags-Gottesdienst riefen und die Sonne angenehm auf den Rücken schien. So lieben wir das Rad fahren. Die Stadt wirkt friedlich und gemütlich. Tag Drei der Tour begann äußerst angenehm. Wenig später wird es dann nachdenklich, wir kommen Terezin, was auch als Theresienstadt weithin bekannt ist. Einst war es eine Garnison und ein Gefängnis für politische Gegner der Habsburger Monarchie. Ab 1941 wurde es ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung. Bis zum Ende des Krieges wurden hierher 150.000 Menschen, hauptsächlich aus Böhmen und Mähren, von den Nazis deportiert.

Jetzt beschlossen wir den Elberadweg zu verlassen. Ein Radweg nur für Radfahrer war es sowieso schon lange nicht mehr, eher ein Netz von kleinen Straßen die kreuz und quer über Umwege zu jeder noch so belanglosen Sehenswürdigkeit führen. Ein Schild lockte uns mit 58 Kilometer bis Prag von diesem Gewusel weg auf eine normale Überlandstraße.  Auf dem Radweg wäre es fast das Doppelte an Wegstrecke gewesen. Irgendwie klappte das dann aber auch nicht so Recht, denn 50 Kilometer später waren wir erst in Melnik auf etwa der halben Strecke bis Prag. Hier verabschiedeten wir die Elbe und begrüßten die hier mündende Moldau  als unsere neue Gastgerberin.

Wir folgten nun dem sogenannten Moldau-“Radweg“ oder seinen Schildern, was großer Mist war, da wir gleich zu Beginn für eine Stunde durch verschlammte Waldwege gelotst wurden. An ein schnelles vorwärtskommen war nicht mehr zu denken und so sank die Durchschnittsgeschwindigkeit  auf 15 km/h.  „Plötzlich wurde aus Gleit- und Rollreibung Haftreibung, die du mit deiner aus Muskelkraft umgewandelten Vortriebskraft nicht mehr überwinden konntest. Da kam dann deine potentielle Energie, weil du dich über  dem Erd- oder Schlammboden befandest, zum Tragen und du  wurdest schlagartig mit geschätzten 9,81 m/s² Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt und kamst erst wieder in einer tiefen Pfütze zum Stillstand.“, so erklärte Konrad mit seinen sechs Semester Physik Studium meinen Sturz in eine Pfütze. Klingt witzig, mich hat es aber „übelst angekotzt“ (nochmal Zitat Konrad).

Zwischen Melnik und Kralupy erwies sich dann unser bikeline-Radreiseführer für den Moldauradweg als vollkommen falsch recherchiert. So fuhren wir komplett sinnlos auf einer stark befahrenen Straße einen Berg hinauf, inhalierten dabei schön und tief die Skoda-Abgase, nur um dann den Berg 20 Grad weiter links wieder runterzufahren. Was ist das für eine Philosophie in den Radführer? Mal quält man sich langsam wie eine Schnecke einen Schlammweg entlang, das andere Mal – nur wenige Kilometer später -  ist man zwischen Lärmschutzwänden auf einer Transitstraße gefangen. An einer Tankstelle tanken wir erstmal Pepsi und kaufen zudem eine ordentliche Karte von dieser Gegend. Weiter ging es dann direkt an der Moldau auf einem sehr guten Radweg, doch als dieser jäh endet, müssen wir das Moldautal verlassen und im schattigen Wald bis hoch über die Moldau fahren. Hinauf ging es ganz gut, die Steigung war moderat und der ruhige Wald eine angenehme Abwechslung, auf der anderen Seite hinab war es dann eher etwas für Downhill-Mountainbiker. Von hier bis Prag konnten wir nun wieder direkt an der Moldau fahren.

Die ruhige Idylle am Fluss, die langsam untergehende Sonne, die Nähe zu Prag, all das setzte in uns neue Energie frei und so vergaßen wir die Strapazen der letzten drei Tage und flogen nach Prag hinein. Prag selber hat erstaunlich gute Radwege in erschreckend runtergekommenen Gebieten. Für Goethe war Prag „der schönste Stein in den Steinkronen der Welt“ und für das Stadt- und Touristenzentrum gilt das freilich noch immer oder mehr den je, die Karlsbrücke, die Prager Burg und der Markt - aber davor und danach kam wieder das bedrückende Gefühl hoch, was ein immer wieder in Tschechien einholt. Bestimmt würde es Dresden und der gesamten sächsischen Region nicht besser gehen, hätte es den Niedergang des SED-Staates, die neue starke Währung und später die Einführung des Soli-Beitrages nicht gegeben. Es brauchte die neuen und nötigen Rahmenbedingungen der Politik damit Investitionen getätigt werden konnten und so Geld in das Land floss. Jetzt kann man mit Fug und Recht Stolz auf Dresden sein. Keinen Zweifel habe ich daran, dass die Europäische Union mit ihrem gemeinsamen und wahrlich grenzenlosen Wirtschaftsraum auch in Tschechien herrliche Früchte tragen wird. Nicht jeder für sich, sondern alle gemeinsam. Auch in Krisenzeiten, sollte so die Devise lauten. 

Nach einer kurzen Stadtrundfahrt schlagen wir südlich von Prag zum ersten Mal auf der Tour und direkt an der Moldau unser Zelt auf, genießen den Abend und die Nudeln. Nachdem diese alle waren, fühlte ich mich noch immer hungrig beziehungsweise unterzuckert, so dass ich unseren kleinen Honigproviant pur und ohne Brot zusätzlich aufessen musste. Ich war, im Gegensatz zu Konrad, total platt. Laut Plan sollten wir  Prag nach 205 Kilometer erreichen, nun waren es  250 Kilometer von Dresden bis hierher. Wir sind also 45 Kilometer zwischen Dresden und „Goethes Lieblingsstadt“ zu umständlich gefahren.  Zum einen wegen Verfahrerei, zum anderen aber auch um die Unterkünfte zu erreichen oder Einkaufsmöglichkeiten zu finden.

Am späten Abend gab es ein Feuerwerk über der Stadt.

 

# 4

Montag, 18.08.2008

Prag – Zvole – Štěchovice – Kamyk – Orlik Stausee

95,5 km

6:00 h

av. V = 15,8 km/h

↗ 1217 hm

↘1028 hm

av. P = 80 W

19°C - 30°C, Sommer-Sonnenschein

798 CZK (Kronen)

 

Die Nacht war kalt und wir beide haben in unseren Schlafsäcken jede Stunde davon bitterlich gefroren. Es ist August und da der August bekanntlich zu den Sommermonaten gehört, hatte ich den teuren Daunenschlafsack daheimgelassen und an seiner Stelle das leichte Kunstfasermodell gewählt. Vor allem, weil es mich nicht stören würde, wenn dieser nach der Reise nicht mehr zu gebrauchen wäre. Vor drei Jahren – auf unserer Radtour an die französische Atlantikküste – haben nach und nach Unmengen Sand, Cola, Rotwein und sogar Jim Bean ihren Weg in das Futter gefunden. Am Ende wurde aus dem einstigen Schlafsack (französisch: Sack du Schlaf) der sogenannter Sack du Dreck. Dieses Schicksal wollte ich meinem Daunenschlafsack ersparen und deswegen bibberte ich bis zu den ersten Sonnenstrahlen in meinem ehemaligen Sack du Dreck, welcher aber inzwischen gereinigt wurde und daher seinen Namen nicht länger tragen darf. Konrads Schlafsack sah schon zusammengepackt so winzig aus, dass ihm jeglichen Dämmmaterial zu fehlen schien und er ebenfalls nicht wärmen konnte. Zwei Fehler kamen in dieser Nacht an der Moldau zusammen: Die dünnen Schlafsäcke und der Verzicht auf Isomatten, welche einfach keinen Platz mehr in unserem Gepäck hatten. Zum Glück geht’s gen Süden.

Nach ungefähr einer Stunde hatten wir unseren gesamten Hofstaat in die Taschen gepackt und konnten losfahren. Kurz mussten wir noch warten, um die Zeche für die Nacht zu begleichen, denn man hatte als Pfand dafür meinen Personalausweis  einbehalten.  Nachdem wir die 400 tschechischen Kronen bezahlt hatten (15€!!!) drückte man mir freundlich den Personalausweis unserer Zeltnachbarn in die Hand, welcher mir aber erstaunlicher Weise nicht in einem einzigen Aussehensmerkmal glich. Sehen für die Prager alle Deutschen gleich aus, so wie es zum Beispiel für den Europäer die Chinesen tun? Rennt jetzt ein rothaariger Typ mit meinem Ausweis durch Böhmen? Cool bleiben! Nach einer kurzen Suche in Ordnern und Kisten findet man dann auch endlich den Ausweis, der mein Bild und meinen Namen trägt. Ich bin froh. Ich habe sowieso immer ein schlechtes Gefühl, wenn ich sowas aus der Hand geben muss. In Zukunft ist es vielleicht kein Fehler ein oder zwei Ersatzexemplare bei sich zu führen. Den Reisepass würde ich sowieso niemals aus den Augen lassen.

Die ganze Nacht konnten wir den Verkehrslärm der stark befahrenen Straße auf der anderen, der östlichen Moldauseite, hören und so entschließen wir uns weiterhin diesseits zu bleiben und so gezwungener Maßen dem bikeline-Ding Folge zu leisten.

Nach 13 Kilometer, die wir ein gutes Stück im Windschatten anderer Radreisender fuhren (Hey, wir hatten noch nichts im Magen!) fanden wir in dem kleinen Ort Vrané nad Vltavou einen Supermarkt mit dem biblischen Namen Eden. Wir kauften da die üblichen Energielieferanten: Cola, Rosinenzopf und Marmelade für jetzt und Nudeln für später. In einem kleinen Park frühstückten wir auf dem Gras und beobachten drei kleine Kinder die an einem Stamm in einen Nadelbaum hineinkletterten. Ratz-fatz ging das und dann tobten sie da oben eine Weile. Wir sahen nichts, hörten nur ihre fröhlichen Stimmen, die in etwas zeigten wie hoch sie waren. Ein wenig erstaunt gucken wir schließlich, als dann vier statt drei Kinder den Baum wieder runterkamen. Wo kam das eine her? Oder war das die ganze Zeit schon da oben gewesen und hatte uns heimlich beobachtet?

Direkt nach dem Frühstück wurde es knackig: Auf vier Kilometer Länge überwanden wir 200 Höhenmeter bis nach Zvole. Ich weiß nicht was den Autor des bikeline-Radreiseführers geritten hat diesem Berg nur ein einziges Anstiegssymbol in der Karte zu geben und dem Berg vor Prag gestern fünf Stück. Dieser besagte Berg gestern war ein Kilometer kürzer und erreichte nur 100 Meter Höhenunterschied. In allen Kriterien in welche man einen Berg einteilen kann (Länge, Höhe und Anstiegswinkel) war der heutige Berg anspruchsvoller. Trotzdem gab es nur ein Anstiegssymbol. Überhaupt: Ein Buch zu verkaufen, das den Namen Moldauradweg trägt, ist eine fiese Täuschung. Es gibt keinen Radweg an der Moldau. Es gibt nicht mal durchgängige Straßen an ihr. Man sieht die Moldau kaum, nur dann wenn ein Städtchen an ihr liegt, verlässt man kurz den Bergwald und kommt ins Flusstal hinab. Danach geht’s sofort wieder weg vom Fluss irgendwelche x-beliebigen Straßen durchs Hinterland entlang. Der Begriff “Moldau-Radweg“ suggeriert dem geneigten Radtouristen etwas anderes, fast gegenteiliges. Aber was rege ich mich auf.

Oben angekommen irrten wir eine Weile durchs Hochland, fuhren dann wieder runter ins Tal, dann wieder hoch. Für fünf Kilometer Luftlinie brauchten wir anderthalb Stunden. Von nun an misstrauten wir allen Empfehlungen des Radreiseführers.

Wir fuhren noch einmal auf einer Dorfstraße hinab an den Fluss und folgen nun der großen Straße von Štěchovice bis Kamyk, welche wir die ganze letzte Nacht ihres Verkehres wegen gehört hatten, die aber nun kaum noch befahren wurde. Man hat beim Tourenfahren sowieso immer die Qual der Wahl:  Schöne, ruhige, landschaftlich reizvolle Strecken auf denen man aber leider nur selten direkt zum Ziel kommt oder eben die größeren Überlandstraßen, welche direkt von Stadt zu Stadt auf dem schnellstem Wege führen. Man fährt recht eintönig dahin und manchmal ist der Verkehr belastend, zumal die Tschechen sehr rücksichtslos fahren.

Direkt auf der Überlandstraße 102 hinter Štěchovice steht wieder ein fetter Berg an. Eine Stunde nur Berg an. Eine Stunde Qual. Kein Anstiegssymbol im Radreiseführer… Oben angekommen kaufen wir entnervt in einer Tankstelle einen “Atlas s Cyklotrasami“, eine Radatlas für das gesamte Land und WD40-Öl um den Leichtlauf der Kette etwas nachzuhelfen. Hier treffen wir unsere Zeltnachbarn von heute Morgen wieder, spätestens jetzt hätten wir die Ausweise tauschen können. Nebenbei ist es auch eine letzte bezeichnende Kritik am bikeline-Reiseführer, dass sie uns niemals eingeholt, dennoch aber irgendwo überholt haben.

Geplant war das Zelten für die heutige Nacht in Kamyk. Dort finden wir allerdings keinen Zeltplatz. Nach wie vor können wir nur ein Wort auf Tschechisch und dieses eine Wort auch nur lesen und nicht aussprechen. An Informationen von Einheimischen kann man so leider nur sehr spärlich gelangen und so suchen wir ziel- und planlos vor uns hin. Es wurde langsam Abend. Der ganze Tag war bisher eine Enttäuschung. Wir haben nur mit der Wegsuche verbracht, dazu kamen wir kaum vorwärts, weil das Höhenprofil gemein und kräftezehrend war und die Straßen oft nur über gewaltige Umwege ihr Ziel fanden. Für den heutigen Tag wäre ein Navigationsgerät nicht schlecht gewesen, aber darauf zu verzichten, empfinden wir beide nicht als Fehler, sondern als prinzipiell richtig. Denn schließlich versuchen wir unser Ziel aus eigener Kraft zu erreichen und dazu gehört eben auch das Navigieren nur mit Karte. Auch wenn das heute ziemlich in die Hose ging und dadurch sehr frustrierend war.

Ich wollte den Tag am liebsten sofort beenden und direkt an der Moldau wild campen, eine Lichtung direkt am Wasser versprach zwar keine Dusche, dafür aber einen ruhigen und idyllischen Abend an der Moldau. Doch Konrad zog es weiter zum Orlik-Stausee und als uns dann im Wald der erste Mensch begegnete der Englisch und zu allem Überfluss auch noch Deutsch sprach, wussten wir, dass wir dort auch hin müssen, denn dort gab es einen richtigen Zeltplatz mit allem drum und dran und hier eben nur Wald und Moldau und Campingverbot. Eine nützliche Information gab man uns noch mit auf den Weg: In Kamyk wurde Mission Impossible 2 mit Tom Cruise gedreht. Gut zu wissen.

Ein Berg noch und wir kamen am größten Stausee Tschechiens  an. Der letzte Ritt hatte sich wirklich gelohnt. Wir fanden eine traumhaft schöne Landschaft vor und der Zeltplatz kostete weniger als die Hälfte von dem in Prag. Die Sonne geht hinter den bewaldeten Hügeln unter. Manchmal dachte man heute, vom Profil und von der Landschaft her, dass man im Schwarzwald wäre. Hier am See könnte man wunderbar ein paar Tage Badeurlaub machen oder mit dem Rennrad von hier aus Touren unternehmen.

Über 1200 Höhenmeter in Summe heute können sich echt sehen lassen, oft möchte ich solche Tagesetappen aber nicht mehr haben, schließlich schleppen wir noch die ganzen Sachen wie Klamotten, Kochzeug, Essen, Gaskartuschen, Zelt, Schlafsäcke, Karten, Reiseführer, ausreichend Wasser und so weiter mit uns rum, was ganz schön schlaucht. Bevor das letzte Tageslicht verschwindet werden die Fahrräder wieder auf Vordermann gebracht, damit wir morgen besser vorwärts kommen als heute. Ich habe leise Zweifel, dass wir es mit der bisherigen Effektivität nicht in der vorgegebenen Zeit bis in Türkei schaffen. 350 Kilometer in vier Tagen sind enttäuschend und demotivierend obendrein.

Vor dem Schlafen gönnen wir uns in der Gaststätte des Zeltplatzes ein Bier und erfahren, dass man mit dem Auto von Dresden ungefähr vier Stunden bis zum Orlik-Stausee braucht.

 

# 5

Dienstag, 19.08.2008

Orlik Stausee – Milevesko - Týn nad Vltavou - Budweis

97,1 km

5:36 h

av. V = 17,3 km/h

↗ 798 hm

↘745 hm

av. P = 60 W

16°C - 32°C, Sommer-Sonnenschein

522 CZK (Kronen)

 

Der Tag hatte eigentlich nur ein Ziel: Vorwärtskommen, in den letzten Tagen hatten wir ja viel Zeit verloren. 

Vom nördlichen Rand des Orlik-Stausees fahren wir nun erstmal ein ganzes Stück weg von der Moldau. Die Straßen sind ruhig und kaum befahren und so kann man Südböhmen genießen, wenn man die Luft dafür hat. Es ist angenehm, so von Dorf zu Dorf zu fahren, ohne nennenswerten Straßenverkehr. In einem kleinen Tante-Emma-Laden ohne Selbstbedienung kaufen wir Cola,  um Energie für den Tag zu haben. Gestern hatten wir keine Mittagessenspause gemacht, da wir beide nie ein richtiges Hungergefühl bekamen, CocaCola und Pepsi sei dank und das obwohl der Tag anstrengender als alles davor gewesene war. Heute machten wir es wieder so. Die Verkäuferin in dem Tante-Emma-Laden schimpft mir etwas auf Tschechisch zu, weil ich die Kulisse (Frau hinter großer Waage bedient die Kunden und holt jedes Produkt einzeln aus dem einen Regal) photographiert hatte. 

So richtig kommen wir nicht vorwärts heute.  Wir standen spät auf und brauchten ewig zum einpacken.  Konrad hatte dann auch noch ein komisches Geräusch am hinteren Ritzelblock…  Dann suchten wir Frühstück, fanden den Tante-Emma-Laden -aber nichts zu essen. Wir verfuhren uns, fanden dadurch einen kleinen Supermarkt, genossen das Frühstück und die Sonne: 12 Uhr hatten wir erst 20 km weg.

Zum Glück hatte Konrad heute einen echt guten Tag und so fuhren wir dann doch recht zielstrebig über Milevsko. Hier machten wir noch kurz einen Stop,  um Sonnencreme und Gas zukaufen. Letzteres fanden wir zwar nicht, aber wir hatten auch noch genug mit. Weiter ging es via  Bernartice bis nach Týn n Vlt die Straße 105 entlang. Zwischendurch machten wir Pause (ja schon wieder, aber es wurde immer heißer.) an einer funktionierenden Wasserpumpe und erfrischten uns.

In Týn, an dem Zusammenfluss von Moldau und Lausnitz, hatten wir die ersten 24 Stunden auf dem Fahrradcomputer weg, also 24 Fahrradstunden waren wir von Dresden entfernt. Früher war Týn mal ein Zentrum des Handels mit Salz gewesen, welches aus dem Alpen hier her kam und dann auf Flößen bis nach Prag gebracht wurde. Mit der Erfindung der Eisenbahn starb diese Tradition aber aus.

Nun wollten wir wieder direkt an der Moldau weiterradeln, doch leider war nach ein paar Kilometern Schluss.  Die Brücke die uns über den Fluss helfen sollte, wurde dank EU-Mitteln gerade neu gebaut. Selbst wenn wir die Verbotsschilder missachtet hätten und auf die Brücke gefahren wären, wären wir doch dort dann im frischem Estrich hängen geblieben. Wir hatten uns vergräppelt!  Vergräpellt ? Ja! Vergräppelt!  Eine Wortneuschöpfung unsererseits,  die nun schon seit 3 Jahren Bestand hat!  Damals radelten wir von Hamburg nach San Sebastian und schon kurz hinter der Hansestadt fuhren wir in den kleinen Ort Gräppel, in welchen nur eine Straße hineinführte, ein Sackgassenort sozusagen. Also mussten wir wieder umkehren und haargenau denselben Weg zurückfahren. Seither heißt dieses Ärgernis „vergräppeln“. Ich hoffe,  dass dieses Wort irgendwann mal den Weg in den Duden schaffen wird, mein Microsoft Word kennt es schon.

Eine Stunde später waren wir wieder in Týn und wieder auf der Straße 105, die nun aber wieder stärker befahren war. Ein langen zähen Berg fuhren wir in der knalligen Sonne hoch, die Fahrradreifen machten auf dem Asphalt Schmatz-Geräusche. Hier ungefähr verbrannten wir uns die Haut trotz Sonnencreme, die durch den Schweiß vermutlich immer wieder abgespült wird.

8km hinter Týn war der Berg endlich zu Ende und wir bekamen direkt neben uns das bedrohlich wirkende Kernkraftwerk Temelin zusehen. Zwar sind nur 2 der 4 Reaktorblöcke in Betrieb, aber dennoch ist es mit über 2000 MW das leistungsstärkste Kernkraftwerk Tschechiens. Auch wenn es hier noch nie einen Störfall gab, ist es kein schönes Gefühl direkt daneben langzufahren. Dessen ungeachtet  ist es wichtig, denn durch seine Platzierung im Süden des Landes  können Regionen mit der Elektrizität versorgen werden, die von anderen Energiequellen, wie den Kohlekraftwerken im Norden des Landes, weit entfernt sind.

Die Straße führt uns direkt nach Budweis, wo wir auf wunderbare Radwege ausweichen, die durch Wälder und Parks, an Fußball-, Baseball- und einem Golfplatz vorbeiführen. Wenig später sehen wir Zelte auf einer Kanutrainingsanlage, die es in Tschechien wirklich häufig gibt. An vielen Stellen hat man der Moldau ein Wehr gebaut und direkt daneben durch das Gefälle eine künstliche Wildwasserbahn erschaffen. 2000 und 2004 holten die Tschechen mit ihrer 2008er Fahnenträgerin Štěpánka Hilgertová bestimmt auch genau deswegen Gold bei den Olympischen Sommerspielen in Sydney bzw. Athen.

Wir durften unser Lager auch bei den anderen Zelten aufschlagen, auf einer Insel zwischen Moldau und Wildwasserbahn sozusagen. Wichtig an einem Zeltplatz sind allein die Duschen und die waren auch hier wieder vorhanden. Der Preis für die Übernachtung lag heute bei 110 CZK (4€). Gestern: 190 CZK, vorgestern in Prag: 400 CZK. Eine äußerst positive Entwicklung.

 

# 6

Mittwoch, 20.08.2008

Budweis – Český Krumlov – Rozmberk – Vyšší Brod – Bad Leonfelden

84,3 km

5:05 h

av. V = 16,5 km/h

↗ 733 hm

↘404 hm

av. P = 100 W

17°C - 21°C, von Nieselregen bis sonnig

491 CZK (Kronen)

& 52,73€

 

Die Nacht auf dem Zeltplatz war von Regen und Sturm geprägt, so dass ich zwischenzeitlich schon Angst hatte,  die  Moldau könnte über ihre Ufer steigen und uns wegspülen. Am Morgen aber stand, das  Zelt wie eine Eins und die Moldau war kleiner als am Vorabend, fast mickrig plätscherte sie vor sich hin. Vermutlich wurde sie an irgendeinem Wehr zurückgehalten.

Wie an jedem Morgen ging es nun an das zeitraubende Abbauen unseres Lagers. Heute fand es seinen negativen Höhepunkt, weil Konrads Radfahrunterhose und seine liebste kurze Hose nicht mehr über unserer provisorischen Wäscheleine hingen. Wir suchten das gesamte Gelände ab, schauten in den Duschräumlichkeiten, fragten die Kanuten um uns herum. Keiner hatte Konrads Sachen gesehen, so dass sich langsam in uns der Verdacht festigt, Opfer eines Diebstahls geworden zu sein. Dafür spricht auch, dass nur Konrads Sachen verschwanden, eben von der Leine an der auch meine Sachen hingen. Meine Klamotten waren aber nur No-Name-Artikel, während Konrad mit einer 80€-Unterhose von Craft und einer Adidas-Hose ausgestattet war. Auch die TU Dresden Shirts hingen noch da, wohl weil  die TU vergeblich versucht hat,  den Status einer Eliteuniversität zu bekommen. Wir warteten noch bis 11 Uhr,  um dem  Besitzer der Anlage den  Verlust anzuzeigen und unsere Handynummer zu hinterlassen, damit falls… naja es hat sich nie jemand gemeldet.

Die Laune war auf dem Tiefpunkt. Es wurden ja richtige Werte vernichtet und Konrad musste nun mit einer viel zu großen Hose weiterfahren, die ständig rutschte und die er eigentlich nur für den Besuch einer Moschee in Istanbul mitgenommen hatte, um sie danach gar nicht mehr wieder mit nach Deutschland zu bringen.

Wir durchfuhren die Bierstadt Budweis und aßen in einem geschlossenen Biergarten unser  Lidl-Frühstück, welches aus Semmeln (anderswo in Deutschland auch Brötchen genannt), Frikadellen (anderswo in Deutschland auch Buletten genannt)  und Pfannkuchen (anderswo in Deutschland auch Berliner genannt) bestand. Es regnete leicht - unserer Stimmung angemessen.  Budweis würdigten wir daher keines ernsthaften Blickes. Auf dem Weg nach Český Krumlov gurkten wir wieder fernab der Moldau durch das hügelige Südböhmen kleine Straßen entlang. Konrad musste ständig eine Hand am Hosenbund lassen um dafür Sorge zutragen, dass die katholischen Tschechen nicht seinen Allerwertesten präsentieren bekommen. Auf Wiegetritt bei Anstiegen musste er gänzlich verzichten.

In Český Krumlov, auch Krummau genannt, begannen wir,  nach einer neuen radfahrtauglichen Hose zu suchen. Krummau (ich nenne die Stadt ab jetzt mal bei ihrem alten Namen um nicht ständig dieses Č und dieses ý umständlich schreiben zu müssen) selber wurde scheinbar mitten in die Moldau gebaut.  Zumindest schlängelt sie sich wie eine Schlange dicht an den Häusern durch die Stadt. Eigentlich wie die Seine in Paris. Viele jahrhundertealte Gebäude, gebaut von den Witigonen im 13. Jahrhundert oder später von den Rosenbergern, findet man hier. Die UNESCO müht sich um deren Erhalt.

Hinter Krummau weichen wir wieder von dem sogenannten Moldau-Radweg ab und radeln eine wenig befahrene Straße direkt an der Moldau entlang. In einem,  mir jedoch namentlich entfallenem, Städtchen finden wir, für umgerechnet 4 €,  eine Hose für Konrad. Ihr knalliges Rot und das Hawaii-Hemd-Muster sind ebenso hässlich wie die - von runtergekommener Industrie und dem Bergbau geprägten – Stadt in der wir das gute Stück erwerben.

Von nun an wurde die Landschaft immer schöner, immer ruhiger und verträumter. Ringsherum ist ein tiefer und dunkler Wald. Die Moldau ist hier noch kein richtiger Fluss, eher ein großer murmelnder Bach, der unberührt seinen Weg dahin fliest. Am ehesten hier würde Bedřich Smetana seine Moldau wieder erkennen. An so vielen anderen Stellen hat sie sich gewiss durch Bebauung, durch riesige Staumauern und viele Wehre komplett verändert. Aber hier macht das wohl keinen Sinn und so kann man sich an der unberührten Natur erfreuen.

Leider wird der Frieden jäh gestört, mein Fahrrad fährt sich plötzlich unheimlich schwer. Erst dachte ich noch es liegt an mir, aber dann merkte ich, dass mit meinem Tretlager irgendetwas nicht in Ordnung ist. Die Kettenblätter vorne schwanken hin und her. Bald kann ich nur noch auf dem kleinsten Blatt fahren, auf dem Zweiten und Dritten wird die Kette  immer runtergezogen. Im bildschönen Rozmberk merken wir bei einer Eis-Pause, dass wir dieses Problem mit unseren Mitteln nicht lösen können.  Also weiter durch den hochwachsenden Wald im niedrigsten Gang Richtung Vyšší Brod. Es passt ganz gut, da es konstant flussaufwärts berghoch geht.

Mit immer größer werdender Angst vor einem plötzlichen Komplettausfall meines Tretlagers erreichen wir den Ort. War Rozmberk noch ein malerischer Ort, den man so auch in bayerischen Touristenregionen wiederfinden könnte, ist Vyšší Brod das genaue Gegenteil. Wir sind in Grenznähe: Also finden sich überall Ramschstände, an denen  man Markenprodukte zu verdächtig günstigen Preisen und niedrigen Qualitätsmerkmalen findet. Da man als Radfahrer Nichtraucher ist, interessieren wir uns auch nicht für preiswerte Zigaretten aus wer-weis-was. In einer Touristeninformation im Zentrum der Stadt erfahren wir, dass der nächste Ort mit Fahrradladen Krummau ist oder eben war. Nochmal 20km zurück? Nö – bitte nicht. Also fragen wir einen Automechaniker, der uns zwar nicht direkt helfen kann, aber einen „Service“  kennt, der das machen soll. Von diesem „Service“ weiß sonst niemand in dem Ort, also finden wir ihn nicht. Nur einen Rasenmäher-Reparateur-Servis finden wir schließlich am Ortsausgang von Vyšší Brod. Aber auch der kann uns nicht helfen, obwohl er gerne würde, da das Tretlager nicht locker sondern gebrochen ist. Ersatzteile finden wir hier nicht, versichert er uns. Er meint wir müssen über die Grenze nach Österreich: „Da findet ihr zu 90% Hilfe, schließlich ist es Österreich“, waren seine Worte. Gut,  dass es genau auf unserem Weg liegt. 12 km sind es noch.

Mit gebrochenem Tretlager fahren wir den Berg zum Grenzübergang hoch. Vor der Grenze geben wir noch schnell in einem Supermarkt all unsere Restkronen für das Lebensnotwenige aus: Nudeln und Süßigkeiten, bis die Taschen rammel voll sind. Dann, am fast höchsten Punkt, kommt das langersehnte Schild, welches uns zeigt, dass wir in Österreich sind. Österreich: Unsere Brüder in Geist und Sprache, in Währung und in Fahrradlädendichte.

 

weiter ging's in Österreich




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